Kairo, 2011. Alles scheint möglich. Die ganze Welt schaut auf den Tahrir-Platz, wo die Ägypter nicht müde werden, gegen die Diktatur zu protestieren, trotz aller Gewalt von Polizei und Militär.
Mariam und Khalid befinden sich mittendrin. Sie sind Aktivisten und ein Liebespaar, getrieben von dem unbändigen Wunsch nach Freiheit und Demokratie.
Wenn sie getrennt sind, verfolgt sie die Angst umeinander, dennoch arbeiten sie unbeirrt weiter. Sie demonstrieren, drehen Clips, treffen ausländische Journalisten, twittern und posten rund um die Uhr.
Sie kämpfen für Bürgerrechte und für Freiheit, die ihres Volkes und die ihrer Freunde, die bereits in ägyptischen Kerkern schmoren. Und nicht zuletzt kämpfen sie um ihre Liebe, für die im Sog der unzähligen Aufgaben kaum noch Zeit und Gelegenheit bleibt.
Es ist ein frustrierender Kampf, getrieben vom Gefühl der Verantwortung gegenüber ihren ermordeten oder inhaftierten Mitstreitern. Erbittert diskutieren Mariam und Khalid über notwendige Kompromisse, reiben sich auf zwischen Hoffnung und Verzweiflung …
Zwischen Aufbruch und Desillusion
Omar Robert Hamilton hat einen dokumentarischen Roman über die ägyptischen Revolutionsjahre 2011 bis 2013 geschrieben. Der Filmemacher und Essayist lebt in Kairo und in London und ist Mitbegründer des ägyptischen Aktivisten- und Medienkollektivs Mosireen.
Anders als der Film »Die Nile Hilton Affäre«, welcher die lähmende Tristesse des Polizeistaates thematisiert, atmet Hamiltons Debütroman die gehetzte, aufgewühlte Stimmung der Rebellion.
Die Erzählung setzt im Herbst 2011 ein, als die Euphorie bereits nachlässt und die Gewalt zwischen Militär und Demonstranten immer häufiger explodiert. Es ist die Zeit kurz vor den ersten Parlamentswahlen nach Muburak, die im folgenden Halbjahr von der Muslimbruderschaft und ihren Parteivorsitzenden Mursi gewonnen werden sollten.
Hamilton folgt dem Weg seiner Hauptfiguren Mariam und Khalid, ein junges, gebildetes, gut vernetztes Paar, das unverheiratet zusammen lebt. Ihre Lebensweise entspricht der von Altersgenossen in Berlin, Paris oder London, aber ihre Heimatstadt ist Kairo, die Hauptstadt eines Staates, den eine despotische Clique regiert.
Der Roman begleitet Mariam und Khalid in Redaktionen, Cafés und auf den Tahrir-Platz, in Ambulanzen und Polizeistationen, vor Gefängnistore und in aufgepeitschte Menschenmengen, wo Frauen begrapscht und vergewaltigt werden.
Hamilton fängt die zunehmende Desillusionierung der Protestierenden ein, berichtet von der nachlassenden internationalen Aufmerksamkeit und dem erlahmenden Interesse der sozialen Medien. Bilder von toten Demonstranten, Massenverhaftungen, Gewalt? Alles schon gestern und vorgestern gesehen, geklickt, repostet und kommentiert.
»Stadt der Rebellion« ist ein aufwühlendes Buch, das hautnah ein Stück Zeit- und auch Mediengeschichte erzählt. Entsprechend dem rückwärtsgewandten Verlauf der ägyptischen Revolution hat Hamilton seinen Roman in drei große Abschnitte unterteilt, die mit »Morgen« (2011), »Heute« (2012) und »Gestern« (2013) betitelt sind. In diesen beiden Jahren begeben sich Mariam und Khalid auf eine dunkle Reise, aus einer vielversprechenden Zukunft zurück in ein neues diktatorisches Regime.
Es ist anfangs nicht ganz leicht, den Einstieg in die Geschichte zu finden. Viele Namen, unbekannte ägyptische Begriffe, schneller Szenen- und Perspektivwechsel. Wer über Unbekanntes stolpert, der sollte einen kurzen Blick in das Register am Ende des Buches werfen, dort werden in Stichworten Namen und Hintergründe erläutert.
Dranbleiben lohnt sich bei diesem Buch unbedingt. Es erlaubt einen intensiven Blick auf die Tage des Aufstandes und in die Herzen der jungen Menschen, die für Bürgerrechte und Demokratie so viel wagten.
Und last but not least: das schöne Buchcover ist ein Verweis darauf, dass Mariam und andere Frauen tragende Rollen in dieser Geschichte einnehmen. Mariam ist eine überaus starke Hauptfigur, eine unbeugsame junge Frau, mutig bis zur Selbstverleugnung, die bereit ist, höchste Risiken einzugehen.