Der kleine Pawel wächst wohl behütet in einem Warschauer Künstlerhaushalt auf. Seine Mutter Zofia spielt Cello, er selbst lernt Geige, der Vater ist Maler.
Bis zum Krieg führte die Familie ein gutbürgerliches Leben. Dienstboten verrichteten die Hausarbeit und Zofias Mutter führte eine eigene Arztpraxis. Doch mit der Besatzung ändert sich alles.
Pawels Vater verschwindet tagelang im Untergrund, die Mutter trägt nur noch selten ihre eleganten Kleider. Unter Bombengeschütz zerfallen Gebäude zu Schutt, bleischwere Ängste legen sich über Pawels Tage und Nächte.
Eines Nachts schmuggelt der Vater einen britischen Soldaten ins Haus. Pawels Großmutter behandelt den Schwerverletzten in ihrer Praxis und gerät kurze Zeit später in das Blickfeld der Besatzer.
Die Familie muss fliehen und zerstreut sich in alle Winde. Doch Zofia und Pawel haben Glück im Unglück: im Wald finden sie einen sicheren Unterschlupf …
Wie oft kann man sich neu erfinden?
Nell Leyshon erzählt die Geschichte einer Frau, deren Biografie mehrfach zerbricht. Zofias anregendes Leben als Musikerin, Künstlergattin und Arzttochter endet mit der deutschen Besetzung Warschaus. Das kulturelle Leben erlischt, der häusliche Komfort bröckelt Tag für Tag.
Wie alle anderen Dienstboten wird auch die Kinderfrau entlassen und Zofia muss sich fortan selbst um Pawel kümmern. Eine Pflicht, der sie oft nur widerwillig nachkommt. Zu groß ist ihre Sehnsucht nach ihrem früheren Leben, zu anhänglich der sensible Sohn.
Kurze Zeit später finden sich Zofia und Pawel in einem armseligen Versteck im Wald wieder. Dort leben sie beinahe wie Tiere, zurückgeworfen auf die elementarsten Grundbedürfnisse. Essen, Schlafen, Überleben, ein winziges Stück Seife ist ein kostbar gehüteter Schatz. Mutter und Sohn hausen in beengter Symbiose, und Zofia droht Tag für Tag an ihrer Mutterrolle zu ersticken.
Jahre später leben beide in England, aus Zofia wurde Sofia, aus Pawel wurde Paul. Ihre Verwandtschaft ist das Einzige, was sie in ein neues Leben retten konnten. Und dennoch sind sie sich so fremd wie nie zuvor. Als Paul nach Glastonbury zieht und seine Lebensweise gegen Sofias Moralkodex verstößt, reißt das fadenscheinige Band zwischen Mutter und Sohn.
Leise und einfühlsam schildert dieser Roman, wie schwer es ist, die Mutterrolle auszufüllen, wenn man sich nach einem ganz anderen Leben sehnt. Die dramatischen Ereignisse der Vergangenheit haben Sofias Seele gepanzert. Sie ist abweisend und wirkt gefühllos, es ist ihre Art, sich vor neuen Verlusten zu schützen.
Paul dagegen ist in seinem neuen Leben angekommen und findet einem Ort, an dem er sich rundherum geliebt fühlt. Er bringt dadurch die Kraft auf, den dunklen Geschehnissen der Warschauer Tage nachzuspüren und eine bohrende Ungewissheit hinter sich zu lassen.
Ein stilles und emotionales Buch, das davon erzählt, wie lange Traumata nachwirken und wie schwierig es ist, sich in der Fremde neu zu erfinden.