Sommer im britischen Northumberland. Silvie graut es vor den Ferien, denn ihr Vater Bill will seinen Spleen ausleben. Der begeisterte Hobby-Archäologe zieht mit Ehefrau Alison und der siebzehnjährigen Silvie in ein selbstgebautes Rundhaus.
Dort soll die Familie wie in der Eisenzeit leben, sich von Waldbeeren, gesammelten Kräutern, eigenhändig erlegten Kaninchen und Gerstenbrei ernähren.
Keine Jeans, keine T-Shirts, kein Schlafsack, keine Grillwürstchen. Stattdessen trägt Silvie eine kratzige, grob gewebte Tunika und Mutter Alison hockt stundenlang am offenen Feuer, um Essen zuzubereiten.
Begleitet wird das Projekt von Professor Jim Slade, er campiert mit den Studenten Pete und Dan sowie der Studentin Molly in bunten, wettertauglichen Zelten in der Nähe des Rundhauses.
Für die Studenten ist die Exkursion Teil ihres Seminars über Empirische Archäologie. Ein lästiges Übel, das man nicht so ernst nehmen muss. Und gerade deswegen geht Silvies Vater ihnen mit seiner Besserwisserei tierisch auf den Keks.
Doch einzig Molly kapiert, dass sich hinter Bills autoritären Gebaren ein Abgrund auftut. Silvies ausgeprägte Angst lässt Mollys Alarmglocken klingeln, und auch Alisons devotes Verhalten spricht Bände. Niemand von beiden wagt es, dem Familienoberhaupt zu widersprechen.
Als die Männer sich mit einem uralten Kult beschäftigen, kommt es zu einem Dammbruch. Silvie soll im Zentrum eines Opferrituals stehen …
Herr der Fliegen 2.0
Was für ein Pageturner! Jedes Wort sitzt, kein Satz ist zuviel. Bereits im Prolog wird klar, dass sich in dieser friedlich erscheinenden Landschaft Ungeheuerliches abspielt: Ein zitterndes Mädchen steht nackt im Moor, die Haare geschoren, um den Hals ein grobes Seil.
Auf den folgenden knapp 150 Seiten erzählt Sarah Moss aus Silvies Perspektive, wie es dazu kam. Wie sie und ihre Mutter unter den Aggressionen des Vaters leiden, mit hypersensiblen Antennen dessen Stimmungen voraus ahnen und versuchen, seiner Aufmerksamkeit zu entgleiten.
Schläge mit dem Ledergürtel, Demütigungen und sexuelle Gewalt bestimmen Silvies Alltag. Abstumpfung und Schockstarre sind die einzigen Mittel, die ihr in auswegloser Situation verbleiben.
In bitterer Konsequenz steuert der Roman auf sein dramatisches Finale zu, bei der ein von seiner Allmacht berauschter Vater plant, sich an der Demütigung und Qual seiner eigenen Tochter zu ergötzen. Und versucht, auch die anderen Männer – den Professor, sowie die Studenten Pete und Dan – auf seine Seite zu ziehen.
Mit seiner fatalen Gruppendynamik erinnert »Geisterwand« an Klassiker wie Goldings »Herr der Fliegen« oder Garlands Bestseller »Der Strand«. Und nimmt doch eine ganz eigene, brandaktuelle Perspektive ein.
In messerscharfer Prosa wirft Moss ein Licht auf sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder. Ein ebenso verstörender wie meisterhafter Spannungsroman.