Chicago, 1971. Einen Tag vor Weihnachten droht die Familie Hildebrandt zu implodieren. Russ Hildebrandt, Pfarrer im Vorort New Prospect, schickt sich an, seine Ehefrau Marion mit der alleinerziehenden Frances zu betrügen. Und am liebsten würde er seine Frau auch gleich verlassen.
Marion lässt das mittlerweile kalt, längst verfolgt sie ihre eigenen Pläne. Zu lange geht ihr Russ schon auf die Nerven, seine Unsicherheit, seine latente Agressivität und die lachhafte Dauerfehde mit dessen jungen Kollegen Rick Ambrose.
Rick hat Russ aus der Leitung der Jugendgruppe »Crossroads« verdrängt und ihn vor aller Augen unmöglich gemacht. Bei »Crossroads« umarmt man sich jetzt, bietet sein Innerstes radikal ehrlich dar, und schenkt einander unvoreingenommene Liebe.
Russ wirkt auf einmal steif und antiquiert, den älteren Hildebrandt’schen Kindern, Becky, Perry und Clem, ist ihr Vater nur noch peinlich. Becky und Perry sind selbst bei »Crossroads« und gehören längst zum inneren, coolen Kreis.
Sie alle wenden sich ab, Becky wirft sich in die Arme des Folksängers Tanner, Clem schmeißt sein Studium und geht auf einen Selbstfindungstrip nach Peru und Perry versinkt im Drogensumpf.
Als Russ noch einmal mit einer Crossroad-Gruppe zum Arbeitseinsatz ins Navajo-Reservat fährt, kommt es zum Eklat …
Zwischen Egotrip und Achtsamkeit
Was für eine Familie! Und was für ein Roman. »Crossroads« ist der erste Teil einer Trilogie, welche Themen unserer Gegenwart verhandelt und die in den Siebzigerjahren, um die Jahrtausendwende und in der Gegenwart spielen soll. Im Mikrokosmos der Familie Hildebrandt zeichnet Franzen zunächst ein Sittengemälde der hippiesken Seventies.
Zwischen Folksongs, Joints, Spiritualität und sexueller Erweckung lauern hier neben Liebe und Erfüllung auch Selbstzweifel, Verachtung, Egozentrik und Gefühlskälte. Und immer wieder das drängende Gefühl, das Beste im Leben zu verpassen.
In glänzend geschriebenen, lebensechten Dialogen stellt Franzen brandaktuelle Fragen um Themen wie Selbstverwirklichung und Verantwortung, soziale Spaltung und kulturelle Aneignung. Bei denen zwischen Achtsamkeit und radikaler Offenheit auch ganz gehörig ausgeteilt wird.
All das erzählt Franzen so spannend und so unterhaltsam, dass die gut achthundert Seiten wie im Fluge vergehen. Dabei nimmt er abwechselnd die Perspektiven der Eltern Russ und Marion ein, sowie die der älteren Kinder Becky und Perry, und dem Studenten Clem, der damit hadert, sich vor Vietnam gedrückt zu haben.
Unvergessliche, komplexe Figuren und eine Dramaturgie, die sich sehr geschickt von Cliffhanger zu Cliffhanger hangelt, machen diesen Roman zu einem Lesehiglight des Jahres. Das Warten auf Teil zwei beginnt.