In Delhi verwandelt sich der hübsche Aftab in die schöne Anjum, eine betörende Hijra, die unentschlossen zwischen den Geschlechtern mit ihresgleichen in einem alten Haus lebt. Anjum trägt die gewagtesten Kleider, das farbenprächtigste Make-up und verdreht auf der Straße den Männern den Kopf.
Als ihre Hoffnungen auf ein glückliches Leben zerbrechen, verwandelt sie ein zweites Mal ihre äußere Erscheinung, trägt Männeranzüge und zieht sich zurück auf die Gräber ihrer Ahnen.
Auf dem Friedhof errichtet sie eine bescheidene Hütte und nimmt den jungen Saddam Hussain und sein Pferd Payal bei sich auf. Bald schon wird aus der Hütte ein kleines Haus, Anjum vermietet Zimmer und vermarktet ihre Herberge als das »Jannat Guest House«.
Dr. Azad Bhartiya sitzt seit elf Jahren am Jantar Mantar, einer von Grünstreifen umgebenen historischen Sternwarte. Er verkauft eine Streitschrift, in der er sich für Menschenrechte und gegen Umweltverschmutzung, Gewalt und Korruption einsetzt. Er verfügt über etliche, sich selbst zuerkannte Ehrungen und akademische Titel.
Seine Verlegerin, die elegante Tilo, wurde einst von ihren eigenen Mutter verleugnet und stattdessen als Adoptivkind ausgegeben. Am Totenbett der Mutter nähern sich die beiden streitbaren Frauen an.
Doch Tilo findet keinen Frieden, gemeinsam mit ihrem Ehemann Naga und dem ehemaligen Studienkollegen Musa gerät sie zwischen die Fronten des Kaschmir-Konfliktes …
Bittere Realität im farbenprächtigem Gewand
Zwanzig Jahre nach dem Erscheinen ihres Weltbestsellers »Der Gott der kleinen Dinge« meldet sich Arundathi Roy mit dem ersehnten zweiten Roman zurück.
Das Buch greift viele der Themen auf, denen sich Roy in den vergangenen zwei Jahrzehnten als politische Aktivistin, Essayistin und Globalisierungskritikerin widmete: die Rolle Indiens im Kaschmir-Konflikt, Menschenrechtsverletzungen und die Brutalität des Kastenwesens, Umweltverschmutzung und entfesselter Kapitalismus, die tägliche Gewalt gegen Christen, Moslems und »Unberührbare«, die ein zunehmend fanatischer Hinduismus entfacht.
Die Autorin lässt in ihrem gut fünfhundert Seiten dicken Roman ein ganzes Kabinett erstaunlichster Protagonisten auftreten, deren Erlebnisse Schlaglichter auf den zeitgenössischen indischen Alltag werfen. Manche Wege kreuzen sich im Vorbeigehen, andere Schicksale verbinden sich auf überraschende Weise zu einem neuen Ganzen.
Der Ton des Romans ist nüchtern, wenn er in protokollarischer Weise aus Vernehmungsprotokollen, Zeitungsausschnitten und alten Tagebucheinträgen zitiert. Um sogleich ins märchenhafte zu wechseln und in farbiger Sprache die bittersten Schicksale und den umbarmherzigen Kampf im Kaschmir zu schildern. Ein gezielter Stilbruch, der in ähnlicher Weise auch im Film »Slumdog Millionär« eingesetzt wurde. Dazwischen finden sich poetische Beschreibungen des Seelenlebens der Protagonisten und der politischen Landschaft.
Der Roman ist keine leichte Kost, die Vielzahl der Charaktere ist manchmal verwirrend, ihre Motive bleiben oft lange verborgen. Anstelle des magischen Soges, mit denen »Der Gott der kleinen Dinge« die Leser mühelos ins fremde Kerala entführte, konfrontiert »Das Ministerium des äußersten Glücks« mit einem ineinander verwobenen Gewirr der Handlungsstränge, die sich zeitweilig verlieren, um viele Seiten später wieder aufgenommen zu werden.
In der deutschen Übersetzung stehen viele indische Begriffe im Original, wie z.B. »Kafir« für »Ungläubiger« oder »Salwar Kameez« als Bezeichnung der traditionellen Bekleidung. Die Sprache wirkt dadurch authentisch, der Lesefluss gerät jedoch etwas ins Stocken. Entweder überliest man diese Stellen und verpasst dadurch manch wesentlichen Kontext, oder man schlägt sämtliche fremdsprachigen Wörter im angefügten Glossar nach.
Ein Buch so komplex wie das politische Klima seines Schauplatzes, ein Spiegel des modernen Indiens, einer Atommacht im Spagat zwischen Tradition und Moderne, Spiritualität und knallharter Ökonomie.