1952. Kya Clark ist gerade mal sechs Jahre alt, als ihre Mutter sie für immer verlässt.
Mit ihren älteren Geschwistern und dem saufenden Vater bleibt sie im Marschland von North Carolina zurück. Dort hausen die Clarks wie die Stallhasen in einer grob gezimmerten Hütte, die Mahlzeiten karg, der Mangel an Liebe und Fürsorge erdrückend.
Dann verpissen sich nach und nach die Schwestern und Brüder, und schließlich macht sich auch der prügelnde Vater aus dem Staub. Kya schwankt zwischen Erleichterung und panischer Angst.
Fortan ist sie völlig auf sich allein gestellt. Um etwas Geld für die tägliche Portion Maisgrieß zu verdienen, streift sie mit dem Boot durch die Kanäle des Marschlandes, gräbt Muscheln aus und verkauft sie für ein paar Cent an den farbigen Händler Jumpin.
Kya freundet sich mit den Vögeln an und meidet die Menschen, bis auf Tate, ihren einzigen Freund. Mit seiner Hilfe lernt sie das Lesen und saugt neues Wissen begierig auf.
Doch in der nahe gelegenen Küstenstadt Barkley Cove redet man hinter vorgehaltener Hand über das »Marschmädchen« – wild, ungebildet und schamlos soll sie sein.
Als man 1969 die Leiche von Chase Andrews im Sumpf findet, gerät Kya unter Mordverdacht. Jeder im Ort weiß, dass die schöne junge Frau ein Verhältnis mit Chase hatte, bevor dieser ihr den Laufpass gab und eine andere heiratete.
Vor Gericht muss Kya um ihr Leben kämpfen …
Überleben in der Isolation
Was für ein Debüt! Die Zoologin Delia Owens verbindet in ihrem packenden Roman eine eindringliche Coming-of-Age Geschichte mit einem spannenden Kriminalfall und betörenden Naturschilderungen.
Sie erzählt von Vorurteilen und der Brüchigkeit menschlicher Bindungen, von der Stille und der Einsamkeit, von Verzweiflungstaten und auch der Verbitterung, die sich durch jahrelange Isolation und gesellschaftliche Ächtung in einem Menschen einbrennt.
»Der Gesang der Flusskrebse« berührt durch seine dramatischen Kontraste zwischen der Schönheit der Natur und der Kälte einer von Vorurteilen geprägten Gesellschaft, in der Farbige weit davon entfernt sind, gesellschaftlich akzeptiert zu sein und ein Mädchen, das gegen die Konventionen verstößt, als Freiwild betrachtet wird.
Owens Beschreibungen der Bootstouren durch das Marschland sind pures Kopfkino, sie zeugen von der Liebe der Autorin zu Natur und machen Lust, diese ursprüngliche Landschaft selbst zu entdecken. Und Kya, die fein gezeichnete Hauptfigur, wächst einem schnell ans Herz. Der Roman porträtiert sie als eine ebenso starke wie verletzliche junge Frau, die sich verzweifelt nach Zugehörigkeit, Liebe und Anerkennung sehnt.
Ein spannender und sehr emotionaler Roman, der als Genremix gekonnt zwischen Krimi und Entwicklungsroman balanciert, mit einer ebenso spröden wie anrührenden Protagonistin, die man nicht so schnell vergisst.
Der Schauplatz Barkley Cove Ist ein fiktiver Ort, die Autorin Delia Owens ließ sich von den Sommerurlauben ihrer Kindheit inspirieren, die sie mit ihren Eltern in North Carolina verbrachte. Die Filmrechte dieses bildstarken Romans sicherte sich die Schauspielerin Reese Witherspoon (Walk the line).