Robert Walter ist Bürgermeister von Amsterdam. Er ist der Mann der Stunde, von der TIME zu den hundert einflussreichsten Persönlichkeiten gezählt. Als einziger Bürgermeister und als einziger Niederländer, wie er auf Nachfragen gern ergänzt.
Der Bürgermeister liebt seine Stadt und die Amsterdamer mögen ihn. Walter ist ein beschwingter Redner und lässiger Plauderer, ein Mann mit Charisma, der den Ministerpräsidenten mühelos in den Schatten stellt. Er ist glücklich verheiratet, hat eine wunderbare Tochter und gute Freunde.
Da trifft es sich schlecht, dass sein gut geöltes Leben aus der Spur zu geraten scheint. Bei einem Empfang beobachtet Robert seine Frau, die mit dem Langweiler Van Hoogstraten ausgelassen flirtet.
Plötzlich beginnt Robert sein Glück zu hinterfragen. Vielleicht trügt der schöne Schein und seine Frau pflegt eine heimliche Affäre? Seine Gedanken beginnen manisch zu kreisen, sezieren jede Beobachtung, jedes mitangehörte Gespräch.
Und dann kündigen Roberts betagte Eltern an, trotz bester Gesundheit in Kürze den Freitod wählen zu wollen. Noch eine gemeinsame Reise und dann soll Schluss sein. Ein Ende mit Kawumm, aber selbstbestimmt.
Roberts Leben bricht an allen Ecken auseinander und der Bürgermeister beginnt, Fehler zu machen …
Innenansichten Amsterdams
Der niederländische Bestseller-Autor Herman Koch widmet sich in gewohnt bissiger Manier den großen und kleinen Lügen des Lebens. In seinem Roman geht um Eifersucht und Misstrauen, Gleichgültigkeit und Langeweile, die Gabe, anderen Menschen zu gefallen und den kleinen Kick, der das Leben aufregend macht. Egal ob man 18, 50 oder 80 Jahre alt ist.
Und so ist die radikalste Figur auch Robert Walters Vater. Der rüstige Senior, der die Party verlassen will, wenn es am Schönsten ist und der sich immer noch für schöne Frauen und kraftstrotzende Sportwagen interessiert.
Herman Koch ist ein guter Beobachter, er porträtiert seine Hauptfigur als eitlen Gockel, dessen Gedanken vor allem um sich selbst kreisen und der nach und nach die Bodenhaftung verliert. Im Plauderton erzählt der Autor aus Robert Walters Leben, von der ersten Begegnung mit der geliebten Ehefrau und bis zu den Treffen mit dem besten Freund, der Robert in der Jugend die schönsten Mädchen wegschnappte.
Das alles unterhält leichtfüßig, ohne jedoch allzusehr zu fesseln. Etwas bemüht wirkt das große Geheimnis, das der Ich-Erzähler aus der Herkunft der Ehefrau macht, die aus einem »ungenannten südlichen Land« stammt. Eine überflüssige Girlande, die der Story nicht dient und die irgendwann nervt. Schade, denn Herman Koch versteht es eigentlich, auf subtilere Weise Hochspannung zu erzeugen, wie er in seinem Bestseller »Angerichtet« eindrucksvoll gezeigt hat.
Der Roman funktioniert als lockeres Sittenbild unser egozentrischen Gesellschaft und vor allem als Amsterdamer Stadtroman. Bürgermeister Walter reibt sich an niederländischen Befindlichkeiten und erzählt aus der jüngeren Stadtgeschichte Amsterdams.
Man erfährt einiges über die Stadtplanung und die Lokalpolitik, vom Umbau des Rijksmuseums, über die Baugeschichte der »Stopera« – den schmucklosen Zwitter aus Oper und Rathaus – bis zur Frage, wieso die Bürger ihr Altglas nach Farben sortieren und das Müllauto Weißes, Grünes und Braunes wieder zusammen kippt.
»Der Graben« ist ein unterhaltsamer Roman, mit viel Amsterdamer Flair, ohne allzu großen Tiefgang. Eine gute Reiselektüre für einen Kurztrip, um durch die Grachten zu schlendern und die Stadt mit den Augen des Bürgermeisters zu sehen.