Hamburg, 1999. Harald Steen reist mit dem Containerschiff bis ans andere Ende der Welt. Der hochgewachsene Hamburger ist frisch in Rente, seine vierundsechzig Jahre sieht man ihm nicht an.
Von ecuadorianischen Festland setzt er über auf die Galapagosinsel Floreana, im Gepäck ein Kajak, zwei Koffer und eine große, schwere Kiste.
Angekommen in Puerto Velasco Ibarra, dem einzigen Dorf der Insel, gibt Steen sich als Schriftsteller aus und bezieht Quartier im Hostal Wittmer. Die Wittmers sind Nachfahren der ersten deutschen Siedler und betreiben das Hotel in dritter Generation.
Bald unternimmt Steen ausgedehnte Streifzüge, verschwindet tagelang oben am Berg und übernachtet in Höhlen. Steen will das Geheimnis seiner Herkunft lüften, das eng mit der dunklen Historie Floreanas verbunden ist.
Im Dorf sorgt der seltsame Deutsche bald für Unruhe. Mit seinen bohrenden Fragen reißt er alte Wunden auf, und dann wird er immer öfter mit der attraktiven Mayra gesehen. Niemand außer ihr ahnt, was Steen oben im Urwald treibt …
Die Galapagos-Affäre
Der Hintergrund Werner Köhlers abenteuerlichen Romans ist eine Reihe bizarrer Ereignisse aus den Dreißigerjahren, bei denen mehrere deutsche Aussteiger ums Leben kamen.
Die tödliche Fehde zwischen naturverbundenen Siedlern und einer psychopathischen Hochstaplerin gibt als »Galapagos-Affäre« bis heute Rätsel auf.
1929 treffen der Berliner Arzt Friedrich Ritter und seine Freundin Dore Strauch auf der unbewohnten Insel ein. Beide wollen der Zivilisation entfliehen, träumen von einem naturverbundenen Leben. Ritter schreibt über sein neues Leben und stilisiert sich als reformbewegter Robinson.
Die Zeitungen stürzen sich auf das Paar im tropischen Garten Eden und verbreiten Ritters halbgare Philosophien. Derart angelockt trifft das Kölner Ehepaar Wittmer im August 1932 mit ihrem Sohn auf der Insel ein und bezieht eine Höhle am Berg.
Wenig später folgt das Skandal-Trio, die Hochstaplerin Eloise Wagner de Bousquet, in Begleitung ihrer Loverboys Rudolf Lorenz und Robert Philippson. Die vorgebliche Baronin ernennt sich zur »Kaiserin von Floreana«, stiehlt Trinkwasser und Vorräte und fordert allgemeine Unterwerfung unter ihre Führung.
Die Baronin und ihr »Harem« begeistern die Skandalpresse. Die deutsche Aussteigerkolonie zieht nun auch Touristen an, unter ihnen der US-Millionär Hancock, der die Insel immer wieder besucht.
1934 verschwinden die Baronin und ihr Favorit Phillipson spurlos über Nacht, mutmaßlich ermordet vom schikanierten Rudolf Lorenz. Dieser flieht auf eine Nachbarinsel und findet dort den Tod. Und auch Ritter, der sich zum Despoten entwickelt hatte, stirbt im gleichen Jahr unter seltsamen Umständen.
Die mysteriösen Vorfälle machten als »Galapagos-Affäre« weltweit Furore. Bestseller-Autor George Simenon recherchierte sogar vor Ort, schrieb eine Artikelreihe und verarbeitete die Ereignisse in seinem Tatsachen-Roman »Hotel Zurück zur Natur«.
Werner Köhler aber wählt einen anderen Weg als Simenon. Er erzählt die historischen Ereignisse nicht einfach nach, sondern spiegelt sie in einer schillernden Abenteuer- und Aussteigergeschichte.
Harald Steen – dessen Verbindung zu den Siedlern lange im Dunklen bleibt – trachtet danach, den Alltag der Pioniere Ritter und Strauch bis ins Detail zu erkunden.
Indem er es ihnen gleichtut, versucht er ihre Gemütszustände zu erforschen. Er legt einen tropischen Nutzgarten an, haust verkratzt, zerstochen und verletzt in den alten Wohnhöhlen. Und verfällt einer zunehmenden Paranoia.
Wie Steen zunehmend von Sinnestäuschungen geplagt wird, zwischen Wahnvorstellungen, Bodenständigkeit und euphorischer Selbstüberschätzung oszilliert, all das ist ebenso spannend wie vergnüglich zu lesen. Ein wunderbar atmosphärischer Roman – und eine literarische Verneigung vor Joseph Conrads Klassiker »Herz der Finsternis«.
Mehr über das Aussteiger-Drama erzählt auch die Terra X Sendung »Der Galapagos-Krimi«, die in der ZDF-Mediathek abrufbar ist.