Der Literaturprofessor Samuel Anderson wurde als Kind von seiner Mutter für immer verlassen.
Plötzlich entdeckt er sie in den Nachrichten wieder: Für einen tätlichen Angriff auf den republikanischen Gouverneur Packer muss Faye Anderson sich vor Gericht verantworten.
Ein Anruf von Guy Periwinkle wirft den Professor zusätzlich aus der Bahn. Der Verleger fordert Samuel auf, eine reißerische Biografie über seine verhasste Mutter zu verfassen: »Die wahre Geschichte des Packer-Attacker«. Aber Samuel hat derzeit andere Sorgen.
An der Universität wird er des sexuellen Übergriffs bezichtigt. Die Anschuldigung stammt von Laura Pottsam, einer gelangweilten Studentin, die trickst und betrügt. Laura hasst Samuel Anderson – weil er sie durchfallen lies – und setzt eiskalt ihre schärfsten Waffen ein: ihr gutes Aussehen und die sozialen Medien. Im Angesicht der Verleumdungen steckt Samuel den Kopf in den Sand und zieht sich in die Welt des Computerspiels »Elfscape« zurück.
Doch Guy Periwinkle hat Samuel am Haken. Unter Androhung einer Konventionalstrafe besteht er auf der Erfüllung eines alten Buchvertrages, Samuel gerät finanziell unter Druck. Mühsam rappelt er sich zu Recherchen auf und folgt den verwaschenen Spuren seiner Mutter.
Er erkundet ihre Kindheit im ländlichen Iowa und stößt dann auf ein dunkles Kapitel in ihrem Lebenslauf: 1968 wurde die Studentin Faye Anderson in Chicago als Prostituierte verhaftet. Kurz darauf verließ sie die Stadt und ging die unglückliche Ehe mit Samuels Vater Henry ein.
Samuel spürt die Aktivistin Alice auf, eine ehemalige Kommilitonin seiner Mutter, die zu wissen scheint, was damals geschah …
Von den Chicago Seven bis zu Occupy
Nathan Hill hat einen epochalen Roman geschrieben, voller eckiger Charaktere, deren Wege sich im Laufe der gut achthundert Seiten kreuzen. Allen voran Samuel Anderson und Pwnage, zwei Gestrandete, die in »Elfscape« ein erfülltes virtuelles Leben leben. Im wahren Leben schlägt Samuel sich mit gerissenen Kontrahenten herum, wie der Studentin Laura, deren Ehrgeiz auf die Mehrung ihrer Follower zielt und Guy Periwinkle, dem zynischen und erfolgsverwöhnten Medienmogul.
Die Geschichte spielt in zwei Zeitebenen, den späten Sechzigerjahren, als Faye Anderson das ländliche Iowa verließ, um in Chicago zu studieren und in der Gegenwart, wo Samuel sich im Virtuellen verliert und die Studentin Laura clever auf der digitalen Aufmerksamkeits-Klaviatur spielt. Nathan Hill ist ein guter Beobachter und ein Meister der pointierten und bissigen Dialoge, die in den zynischen Herablassungen des Guy Periwinkle ihre Vollendung finden.
Kunstvoll verschränkt der Autor die Handlungsstränge ineinander, findet für jede Figur einen charakteristischen Erzählton und variiert die Perspektiven auf überraschende Weise. Die Cliffhanger sind phantasievoll und sitzen punktgenau, schwungvoll tragen sie die Leser durch die Seiten. Im letzten Drittel enthüllen einige Figuren ihre wahre Identität und begleiten Samuel in ein furioses Finale.
»Geister« ist ein amerikanisches Sittenbild, das sich – ähnlich wie Kathrin Bigelows Film »Detroit« oder Aaron Sorkins »The Trial of the Chicago 7«- auf die Unruhen der Sechzigerjahre bezieht – und dabei den Blickwinkel des weißen, akademischen Millieus einnimmt. Nathan Hill spannt den Bogen weit, von der brutalen Niederschlagung der Chicagoer Studenten-Proteste in 1968 bis zur zeitgenössischen Occupy Wall Street Bewegung.
Das ungekürzte Hörbuch interpretiert Uve Teschner mit Bravour, er liest schwungvoll und verleiht den unterschiedlichen Figuren charakteristische Stimmen, ohne dabei affektiert oder gekünstelt zu wirken.
Ein eloquenter Roman und ein wunderbares Hörbuch: spannend, geistreich und äußerst unterhaltsam.