Jim Sams hat sich verwandelt. Eines Morgens wacht er auf und findet sich in einem weichen Bett in Downing Street 10 wieder. Ausgerechnet er, eine Kakerlake. Jetzt ist er der Premier von Großbritannien und kennt nur ein Ziel: Er wird den Willen des Volkes umsetzen.
Doch zunächst muss Jim sich in seinem ungewohnten Körper zurechtfinden. Abscheulich, diese langen Gliedmaßen, die facettenlosen Augen und das weiche Fleisch, das panzerlos um seine Knochen wabbelt.
Es bedarf nur noch ein paar mentaler Aufwärmübungen, dann steigt auch Jims Geist in ungeahnte Höhen, beschwipst von den neuen Möglichkeiten und der unverhofften Macht. Die läppische Opposition steht mit dem Rücken zur Wand und die Abweichler in seiner Partei trickst er gnadenlos aus.
Und wenn es hart auf hart kommt, hilft immer ein Gespräch unter Kumpeln. Archie Tupper ist Präsident der USA und fast so genial wie er selbst. Beim Twittern kann Jim sogar noch von Archie lernen …
Verneigung vor Kafka
Ian McEwan hat den schnellen Wurf gewagt, in einer scharfzüngigen Satire bannt er das Brexit-Chaos Großbritanniens zwischen zwei Buchdeckel. Sein kurzer Roman greift das Motiv der weltberühmten Erzählung Franz Kafkas auf, in der Gregor Samsa aufwacht und feststellt, dass er sich in ein Ungeziefer verwandelt hat.
Mit bissigem Humor dreht McEwan die Verhältnisse um, sein Protagonist Jim Sams steigt aus dem feuchten Elend empor in die oberste Etage der Macht. Dort triezt er seine Mitarbeiter, entledigt sich sowohl der Fakten als auch sämtlicher Kritiker – und stellt seine persönlichen Interessen über das Wohl des Volkes.
Dieses Volk hat in einem Referendum für den »Reversalismus« gestimmt, die Umkehr des Geldflusses. Wer arbeiten geht, muss dafür zahlen, wer einkauft, erhält noch Geld oben drauf. Die Briten träumen vom Paradies auf Erden.
McEwan hat mit dem »Reversalismus« einen außerordentlich absurden Aufhänger gewählt, dessen wirtschaftliche Logik sich nicht immer erschließt. Aber gerade deshalb spiegelt das Buch wunderbar die Auswüchse der politischen Lügen und des faktenfreien Populismus wider. Wer es liest, sollte über ein paar logische Mängel großzügig hinwegsehen und keine ausgefeilte, wissenschaftlich fundierte Geschichte erwarten (wie McEwans zuletzt erschienenes Buch Maschinen wie ich).
Wer sich auf »Die Kakerlake« einlässt, wird mit einer treffsicheren und unterhaltsamen Lektüre belohnt, die ein Schlaglicht auf das politische Chaos in Großbritannien wirft. Applaus für einem Autor, der auch einmal etwas Unperfektes wagt und die Niederungen der Tagespolitik literarisch kommentiert.