Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit

Sde Boker, Wüste Negev, im Mai 1966. David Ben-Gurion ist nicht mehr im Amt, und doch empfängt er noch immer Staatsmänner aus aller Welt. Morgen trifft Konrad Adenauer hier im Kibbuz ein, wo David und seine Ehefrau Paula ihren Lebensabend beschließen.

Paula obliegen die Vorbereitungen, jetzt geht sie durch Sde Boker und trifft letzte Absprachen. Mit den Schritten fliegen ihre Gedanken, wehmütig blickt sie zurück auf ihr Leben.

In nahezu jedes Land hätte man sie schicken können, solange es über fließend Wasser, Heizungen, Kühlschränke und eine vernunftgesteuerte Regierung verfügte (also eigentlich keines). Aber nicht in die Wüste. Und nicht in einen Kibbuz am Ende der Welt, wo ... ihre Kinder und Freunde fern waren.
STEPHAN ABARBANELL - Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit

Aufgewachsen in Minsk, schickten ihre Eltern sie als Teenager allein nach New York. Ihr trauten sie zu, sich ein Leben aufzubauen und die Familie später nachzuholen. Dort träumt Paula von einem Leben als Ärztin und freundet sich mit der Anarchistin Lena an.

Doch dann laufen die Dinge anders als geplant. Paula muss Geld verdienen, wird Krankenschwester und lernt 1915 den Zionisten David Ben-Gurion kennen. Die beiden werden ein Paar, heiraten und David zieht sogleich in den Krieg.

Erst eineinhalb Jahre später werden sie sich wiedersehen: Paula und die einjährige Tochter Geula folgen David Ben-Gurion nach Palästina. An seiner Seite lebt die scharfzüngige Paula ein Leben, das so anders ist als alles, was sie sich je erträumt hat …

Wut und Einsamkeit

Stephan Abarbanell schreibt im Nachwort des Romans, das ein Buch über die Frau des israelischen Staatsgründers bislang fehlte, es gibt bisher weder eine Biografie noch einen anderen Roman über Paula Ben-Gurion.

Für sein Buch recherchierte er umfangreich, sprach vor Ort in Israel mit Zeitzeugen und Weggefährten der Ben-Gurions. Darunter auch ein ehemalige Nachbarn, die dem Paar freundschaftlich verbunden waren.

Sie hatte mit dieser letzten Wendung ihres Lebens nicht gerechnet, war nach ihrem Umzug in die Wüste in das, was die Menschen Alter nennen, lautlos hineingeschliddert. Niemand hatte sie gewarnt.
STEPHAN ABARBANELL - Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit

Der daraus entstandene Roman porträtiert Paula Ben-Gurion als eine bissige und selbstbewusste Frau, die ein Leben lebte, das ihr nicht entsprach. Sie glaubte nicht an die Idee eines jüdischen Staates und vermisste ihr amerikanisches Leben auf Schritt und Tritt.

Letztlich bleibt im Dunkeln, was Paula Munweis bewogen haben mag, die Frau an der Seite eines  Mannes zu werden, dessen Ideen sie nicht teilte. Der all seine Kraft dem jüdischen Staat widmete, sie mit seinen Liebschaften brüskierte, sie der Großstadt entriss und zu einem ihr verhassten Leben in der Wüste drängte.

... sie war nicht nur seine Frau, sondern Teil des Staates. Wenn es dem gut ging, musste es auch ihr gut gehen. So einfach dachte er. Und es ging diesem Staat ja nie wirklich gut, immer nur kämpfen, ringen, sich über Wasser halten.
STEPHAN ABARBANELL - Paula oder Die sieben Farben der Einsamkeit

Abarbanell baut den Roman ähnlich geschickt auf wie seinen fulminanten Vorgängerroman (»10 Uhr 50 Grunewald« über Walther Rathenau), die Stunden bis zu einem nahen Ereignis bilden den Rahmen. Zwischen diesen Szenen blickt die Hauptfigur zurück auf ihr Leben, in einem interessanten Wechselspiel aus Beobachtung des Gegenwärtigen und kritischer Reflektion des eigenen Handelns und der politischen Umstände.

Paulas Gedanken sind geprägt von Frustration über den Verlust ihres amerikanischen Lebens, der Trauer um ihr verschwendetes Talent, dem Groll über einen Ehemann, mit dem sie kaum etwas verbindet und der Sehnsucht nach den Anregungen der Großstadt. Doch etwas davon wird sie sogar in der Wüste finden, in Gestalt der jungen Shoshana, die neu nach Sde Boker zieht.


Stephan AbarbanellPaula oder Die sieben Farben der Einsamkeit Blessing 2024
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