Bea und Niklas kommen jung zusammen, in dem tragischen Moment als ihr Bruder starb. Von da an sind Niklas und seine Eltern der Fixpunkt in Beas Leben. Deren Hof auf Gotland wird ihr Inbegriff von Geborgenheit.
Jetzt sind Bea und Niklas seit über dreißig Jahren ein Paar. Sie leben in einer schicken Wohnung im Zentrum Stockholms, die Teenagertöchter sind beinahe flügge. Da verlässt Niklas nach einem belanglosen Streit die Wohnung.
Ohne Erklärung bleibt er tagelang fort. Und als er wieder auftaucht, fordert er aus heiterem Himmel die Scheidung …
Luft zum Atmen
Moa Herngren erzählt eine klassische Geschichte, ausgehend vom abrupten Ende einer langen Ehe beleuchtet sie in Rückblicken die Erosion der Liebe. Dabei wechselt die Perspektive immer wieder zwischen den einstmals Liebenden und bietet Identifikationspotential mit beiden Seiten.
Die Rollen sind hier klassisch verteilt: Bea kümmert sich um Kinder und Haushalt, ihr Job ist schlecht bezahlt. Niklas ist Kinderarzt und verbringt viel zu viele Stunden in der Klinik. Er ist ein liebevoller Vater, verlässlicher Freund und zugewandter Ehemann, das Management des Familienalltags überlässt er seiner Frau.
Was auf Niklas feministische Mutter Lillis ziemlich gestrig wirkt, entpupppt sich als von Bea gewolltes Arrangement.
Bea liebt es, einen Job zu machen der sie zu erfüllt, frei von Druck und Verantwortung. Ihre Energie widmet sie der Perfektionierung ihres Heims, einer Altbauwohnung im wohlhabenden Viertel Östermalm, die das Budget der Familie weit übersteigt. Mitten in ihrem neuesten Projekt – der Traumküche – steigt Niklas aus dem Familienleben aus.
Er ist einfach vollkommen platt. Niklas erstickt unter Arbeit, Schulden und den Ansprüchen seiner Frau, die sich für Finanzlage der Familie nicht interessiert und ihre eigenen Wünsche stets ins Zentrum rückt – unter dem Deckmantel, dass dies das Beste für die Töchter sei.
Unfähig, seine eigenen Bedürfnisse zu äußern oder Grenzen zu ziehen, fehlt Niklas die Luft zum Atmen. Selbst die Familienurlaube auf Gotland arten in Stress aus, wenn seine Eltern ihn als kostenlosen Arzt für sämtliche Bekannte verplanen.
Schicht um Schicht seziert Moa Herngren das vermeintliche Familienidyll und zerlegt es in ein toxisches Konglomerat aus narzisstischen Ansprüchen, emotionaler Erpressung und vergifteten Schweigen. Bea ist die Frau, die noch immer gerettet werden will. Und Niklas der Mann, der an diesem Mühlstein um den Hals langsam erstickt.
»Scheidung« ist ein soghafter und bildstarker Roman mit scharf gezeichneten Figuren, geschickt spielt Moa Herngren mit den wechselnden Erzählstimmen und lässt die Leser*innen immer wieder die Seiten wechseln. Kein Wunder, dass man sich diese Geschichte auch gut als Serie vorstellen könnte: Moa Herngren schreibt auch Drehbücher und hat mit »Bonusfamilie« bereits ihr Talent für Familiengeschichten unter Beweis gestellt.
